Langweilige Zeiten sind angebrochen in Dinas Dysg (=City of Learning), wie Bangor dem Ankömmling auf manchen Straßenschildern angekündigt wird: Die Straßen sind wie leergefegt, in der Nacht herrscht relative Ruhe vor meinem Fenster und Studenten zeichnen sich durch blassen Teint und das Tragen von Ringen aus. Ringen unter den Augen. Der Grund dafür ist, dass die nächsten beiden Wochen voll und ganz im Zeichen der Aufsatzkompilation und Prüfungsbewältigung stehen und soziale Bedürfnisse hinten im Kasten verstaut werden.
Mir geht es da natürlich nicht anders und ich verbringe die meiste Zeit in meinen vier Wänden und hoffe, dass mir Einstein auf der einen und die britische Landkarte auf der anderen Seite Inspiration bringen. Funktioniert leider nur bedingt, wenn das Wetter so absolut nicht klischeebritisch sein will und mir das Gefühl gibt, dass ich meine Zeit besser nützen könnte.
Wenn ich es deshalb also zwischen konstruktiven Phasen gar nicht mehr aushalte und die Frischluftsucht zu Entzugserscheinungen führt, schwinge ich mich auf mein gehassliebtes Fahrrad und setze es und mich neuen Herausforderungen aus.
Strahlender Sonnenschein am Sonntag und ein frisch getipptes Essay haben mich übermütig gemacht und so bin ich sonntags mit meinem lieben Mitbewohner Tom zu den etliche Kilometer entfernten Aber Falls gefahren.
Wenn ich sage "gefahren" meine ich, dass wir uns über Gras, Kiesel, Wurzeln, Steine, Stufen Bäche und Schafweiden zu unserer Destination durchgekämpft haben. Inklusive Räder über Stacheldrahtzäune heben tragen und Schafe jagen. Die Wollballen auf vier Beinen sind ja bekannt für ihre Panikattacken und dass sie dabei komplett zu denken vergessen ist auch nicht sonderlich überraschend. Dennoch bekam ich einen ordentlichen Schrecken als ein Lamm, anstatt nach links auf die Weide (und damit weg von mir) zu laufen, über den Weg galoppieren wollte und einen halben Meter vor mir gestürzt ist, sodass es zu einer Kollision gekommen wäre, wenn meine Bremsen nicht wider Erwartung gut funktioniert hätten und mich zu einem halben Vorwärtssalto gedrängt hätten. Puh.
Trotz dieser und anderer (unten erwähnter) Vorkommnisse haben wir nach nicht allzu langer Zeit unser Ziel erreicht:
Durch ein hübsches schmiedeisernes Gitter betraten wir das Areal um die Aber Falls.
Dort haben wir erstmal pausiert und ich habe heimatbewusst eine Packung Mannerschnitten aus dem Rucksack gezogen. Da ich diese raren Schätze immer zu Ausflügen mitnehme, glauben meine Mitbewohner schon, dass sich irgendwo in meinem Zimmer endlose Reserven befinden bzw ich sie heimlich importiere. Nun, dem ist nicht so: Einteilung ist alles.
Da Sonntag war und die Wasserfälle ein beliebtes Ausflugsziel sind, haben wir uns nicht allzu lange aufgehalten und haben schleunigst die Flucht ergriffen als eine berockte Mädchenschulgruppe invasionsmäßig von den herumliegenden Felsen Besitz ergriffen hat. Wir trugen die Räder viele steile Naturstufen hinauf, schwangen uns in die Sättel und rasten im Eiltempo den Hügel hinunter, vorbei an landschaftlichen eye candies...
Mein Fahrrad ist schon etwas betagt und reagiert auf Stress leider nicht sonderlich gut. Es kann mit harten Gegebenheiten (Wurzeln, Steinen, querliegenden Bäumchen...) ganz gut umgehen, lässt sich aber in den Erholungsphasen (i.e. beim Bergabfahren) zu sehr gehen. Innerhalb von 3 Stunden ist mir deshalb 6x (in Worten SECHSMAL!!!!) die Kette rausgesprungen. Uuuuunheiiiiiimlich mühsam: Runter vom Rad, Kette rein, Finger abwischen, weiter. Nun ja, jetzt muss das Ding ja nur mehr einen Monat heil und funktionstüchtig überstehen und dann darf es von mir aus sterben gehen.
Nach diesem neuen Abenteuer und den allerbesten Lammbratwürsteln, die ich JE gegessen habe (vom lokalen Bauernmarkt) war ich entspannt genug, das letzte essay in Angriff zu nehmen. Nächste Woche kommt dann noch eine Prüfung über Umgangsformen und dann ist das akademische Jahr auch schon wieder vorbei und der Spaß kann erneut beginnen! Und zwar am Besten mit dem Eröffnen der Festivalsaison in Großbritannien:
BBC 1 sucht sich jedes Jahr einen Ort irgendwo in der britischen Pampa und veranstaltet dort ein zweitägiges Megafest mit den wichtigsten Festivalbands des Jahres. Und auf welche Stadt ist die Wahl heuer gefallen?
Ja, ganz genau: Ausgerechnet auf Bangor bach*! Ausgerechnet wenn ich hier bin!
*bach = klein
Die Problematik an der ganzen Sache sind die Karten. Sie sind nämlich nicht käuflich erwerbbar sondern werden verlost, wobei Ortsansässigen der Vorzug gegeben wird. Vergangene Woche gab es deshalb einen riesigen studentischen Ansturm auf die Registrierungsplatform. All meine hiesigen Freunde und Mitbewohner haben teilgenommen und tagelang wurde gefiebert und gezittert. Mailboxeingänge wurden alle 5 Minuten neu geladen. Bald begannen sich erste Statusnachrichten auf Facebook zu verbreiten: viele enttäuschte und wenige hocherfreute, und schließlich erreichte die Welle auch unser Haus. Mein Mitbewohner hatte Pech und dämpfte damit auch meine Erwartungen, doch die gute Nachricht kam 5 Minuten später in Form eines Emails mit dem Betreff "Congratulations!" Ich hab's fast nicht glauben können! Auf ein britisches Festival zu gehen war eh so ein kleiner geheimer und für unerfüllbar gehaltener Wunschtraum... Womit hab ich das schon wieder verdient?
Gestern sind die Tickets ins Haus geflattert: Ach, manchmal ist das Leben eben einfach nur schön.
.. so und jetzt zurück zum Essay, auf dass die Freude mit fortschreitender Zeit größer werde und nicht der Angst weiche.
3 comments:
Da fährt sie so mir-nichts-dir-nichts über fremde Schafweiden, erschreckt die weißen Wollberge zu Tode und dann frönt sie anschließend noch schmackhaften Lammbratwürsteln vom LOKALEN Bauernmarkt. "Frische Lammwürste" mag hier sofort eine neue Bedeutung bekommen:) Das mutet ein wenig makaber an!
P.S.: das Wort "galoppieren" hat nichts mit jener zähen Körperflüssigkeit zu tun, die in der Leber produziert wird und deren Aufgabe es ist, Lipide zu emulgieren.
uuuuh, peinlich. Ist bereits korrigiert. Man vergebe mir die orthographische Unzulänglichkeit!
Aber Falls! :manwe:
Post a Comment