Nein, ich war nicht schon wieder in London - vielmehr schulde ich diesen Eintrag schon seit ein paar Monaten. Ich hatte ihn auch schon einmal aufwändigst verfasst, doch dann passierte ein Fehlklick und er entschwand unwiederbringlich. Ich will es noch einmal versuchen.
Wer sich erinnert, dass ich über die in London herrschende Hektik gejammert habe und die Schwierigkeit, einen ruhigen, angenehmen Platz, an dem man dem Kaffee- oder Teegenuss frönen kann, beklagt habe, der wird sich vielleicht mit mir freuen, denn ich fand an meinem letzten Tag in der Großstadt endlich die Nische, die ich suchte: das Ziferblat.
Das Ziferblat kommt ursprünglich aus Russland und ist offiziell hauptsächlich kein Kaffeehaus. Das ist wichtig. Man kauft dort immerhin keinen Kaffee, sondern bezahlt stattdessen die Zeit, die man dort sitzenderweise verbringt. Davon hatte ich irgendwo gelesen und das wollte ich natürlich suchen, denn es klang interessant.
Im Chaos des U-Bahnenstreiks kam mir entgegen, dass die Old Street, in der sich das Etablissement befindet, beinahe zu Fuß erreichbar war, bzw., dass - und so war es eigentlich - ich es nach 20 Minuten vergeblicher Warterei auf den richtigen Bus in Richtung "Trafalgar Square" ziemlich satt hatte im Regen herumzustehen. Ich sah einen anderen mit der Leuchtschrift "Old Street" heranrollen und stieg einfach dort ein.
Ich hatte keine Ahnung, wo ich genau hinmusste, und marschierte einfach auf gut Glück die Straße entlang und gleich einmal fast an der richtigen Türe vorbei. Das Ziferblat ist nämlich von außen kaum erkennbar: Es liegt im ersten Stock und an der Geschäftsfront weist nur ein kleines Auslagenfenster mit einem Stuhl, einem Tisch und einer Uhr darauf hin, dass man hier richtig ist. Um eingelassen zu werden, muss man, wie bei einem Wohnhaus, anläuten, und ich fühlte eine leichte Hemmschwelle sich erheben. Ich läutete dennoch, der Türöffner summte und ich stapfte, gefolgt von zwei anderen Touristen, die dasselbe Ziel hatten, über die enge Holztreppe in den ersten Stock hinauf*.
Oben angekommen standen wir hinter einer Art Rezeptionstisch zu einem großen, etwas biedermeierlich anmutenden Wohnzimmer, das auf den zweiten Blick gar nicht mehr biedermeierlich war, weil die Möbel aus verschiedensten Stilen und Epochen zusammengetragen waren. Überall saßen Leute, lasen, arbeiteten an Laptops, unterhielten sich eher leise oder tranken Kaffee. Ich verbrachte die erste Minuten mit Gaffen.
*Ich fühlte mich an das Tibetan Restaurant in Leh erinnert, zu dem eine ebenso unauffällige Treppe hochführt und dem ich erst glaubte, dass es tatsächlich ein Restaurant sei, als ich das Essen vor mir sah.
Ein netter junger Mann, dem ich glaubte, einen ganz dezenten deutschen Akzent anzuhören, sprach mich schließlich an, vermutlich, weil ich so verloren aussah.
Can I help you?
Yes, I'm a bit overwhelmed. Can you explain the system to me?
Right! The first thing you do.... Und voller Motivation begann er mich einzuweisen:
Er zeigte auf ein Regal voller verschiedener Uhren und Wecker. Davon solle ich mir eine aussuchen. Hinten auf der Uhr stand ein Name (meine hieß Boris), den ich auf eine Art Anwesenheitszettel schreiben sollte, zusammen mit meinem Namen und meiner Ankunftszeit. Dieser Zettel kam an eine Schnur an der Wand, wo schon alle Zettel der anderen Besucher hingen. Mit Boris in der Hand folgte ich Sasha durch das Wohnzimmer - Over there we have books. This here is the piano. (Obviously) - in die kleine Küche. Diese erinnert an eine StudentenWG bzw. an eine Jugendherberge:
Es war ein bisschen unordentlich.
Häferl verschiedenster Art füllten die Regale.
Jemand kochte sich gerade etwas zu essen.
Andere Leute machten sich Tee oder standen einfach herum und plauderten.
You can bring your own food and heat it here. Just help yourself to tea and coffee and enjoy your time. Damit war der Rundgang durch die premises beendet.
Ich war immer noch etwas überwältigt und begann damit, mir einen Platz zu suchen. Ich fand einen etwas durchhängenden Regisseurssessel an einem bereits besetzten Tisch (das waren sie alle) und stellte Boris dort einmal ab. Dann ging ich in die Küche, um mir Kaffee zu holen. Komisches Gefühl: als würde man sich in einer fremden Küche bedienen. Ich redete mir ein, dass das ganz normal sei und glaubte es mir nach einer Weile auch.
Schließlich hatte ich eine Riesenkanne voll frischen Kaffees gemacht (weil der natürlich gerade leer sein musste, als ich mir welchen holen wollte) und saß mit meinem schicken Häferl und meinen Arbeitsmaterialien endlich irgendwo in Ruhe und ohne ständige Laufkundschaft. Ich entspannte mich, sah dem Regen zu, arbeitete ein bisschen und sog die Atmosphäre ein.
Nach etwa zwei Stunden beendete ich meinen Besuch, füllte die Abreisezeit auf meinem Anwesenheitszettel aus und berechnete meine Geldschuld relativ zur Zeit. Ich weiß nicht mehr, was ich bezahlte, aber es war nicht mehr, als ich in einem durchschnittlichen Coffeeshop für ein durchschnittliches Getränk abgelegt hätte. Jetzt wo ich die Adresse kenne, werde ich vermutlich wieder einmal dort Herberg suchen.
Schlussendlich plauderte der junge Mann vom Anfang (Sasha) mich nochmal an und ich hielt mich noch eine halbe Stunde länger (gratis) auf, weil das Gespräch so interessant war. Stellte sich heraus, dass er Ire ist, aber in Deutschland zur Schule ging. (Hatte ich mich also nicht ganz verhört...)
Er erzählte mir, dass viele Leute zum Arbeiten ins Ziferblat kämen, weil sie die Atmosphäre so schätzten, ein Teil seien auch Touristen, die einfach neugierig seien, oder Stammkundschaft, die das Wohnzimmer schätzt. Einzig ein Problem hatte das Ziferblat als ich gerade dort war: Der Besitzer wollte die Betreiber beklagen, weil sie angeblich ein Kaffeehaus betreiben und das nicht angemeldet hätten bzw. er das in seinen heiligen Hallen nicht wolle. Doch das Ziferblat ist kein Kaffeehaus. Man bemüht sich sehr, das zu kommunizieren und die Unterstützung der Besucher zu bekommen, damit man bleiben darf. Ich hoffe, es klappt - solche Oasen sind wertvoll.
Wer sich erinnert, dass ich über die in London herrschende Hektik gejammert habe und die Schwierigkeit, einen ruhigen, angenehmen Platz, an dem man dem Kaffee- oder Teegenuss frönen kann, beklagt habe, der wird sich vielleicht mit mir freuen, denn ich fand an meinem letzten Tag in der Großstadt endlich die Nische, die ich suchte: das Ziferblat.
Das Ziferblat kommt ursprünglich aus Russland und ist offiziell hauptsächlich kein Kaffeehaus. Das ist wichtig. Man kauft dort immerhin keinen Kaffee, sondern bezahlt stattdessen die Zeit, die man dort sitzenderweise verbringt. Davon hatte ich irgendwo gelesen und das wollte ich natürlich suchen, denn es klang interessant.
Im Chaos des U-Bahnenstreiks kam mir entgegen, dass die Old Street, in der sich das Etablissement befindet, beinahe zu Fuß erreichbar war, bzw., dass - und so war es eigentlich - ich es nach 20 Minuten vergeblicher Warterei auf den richtigen Bus in Richtung "Trafalgar Square" ziemlich satt hatte im Regen herumzustehen. Ich sah einen anderen mit der Leuchtschrift "Old Street" heranrollen und stieg einfach dort ein.
Ich hatte keine Ahnung, wo ich genau hinmusste, und marschierte einfach auf gut Glück die Straße entlang und gleich einmal fast an der richtigen Türe vorbei. Das Ziferblat ist nämlich von außen kaum erkennbar: Es liegt im ersten Stock und an der Geschäftsfront weist nur ein kleines Auslagenfenster mit einem Stuhl, einem Tisch und einer Uhr darauf hin, dass man hier richtig ist. Um eingelassen zu werden, muss man, wie bei einem Wohnhaus, anläuten, und ich fühlte eine leichte Hemmschwelle sich erheben. Ich läutete dennoch, der Türöffner summte und ich stapfte, gefolgt von zwei anderen Touristen, die dasselbe Ziel hatten, über die enge Holztreppe in den ersten Stock hinauf*.
Oben angekommen standen wir hinter einer Art Rezeptionstisch zu einem großen, etwas biedermeierlich anmutenden Wohnzimmer, das auf den zweiten Blick gar nicht mehr biedermeierlich war, weil die Möbel aus verschiedensten Stilen und Epochen zusammengetragen waren. Überall saßen Leute, lasen, arbeiteten an Laptops, unterhielten sich eher leise oder tranken Kaffee. Ich verbrachte die erste Minuten mit Gaffen.
*Ich fühlte mich an das Tibetan Restaurant in Leh erinnert, zu dem eine ebenso unauffällige Treppe hochführt und dem ich erst glaubte, dass es tatsächlich ein Restaurant sei, als ich das Essen vor mir sah.
Ein netter junger Mann, dem ich glaubte, einen ganz dezenten deutschen Akzent anzuhören, sprach mich schließlich an, vermutlich, weil ich so verloren aussah.
Can I help you?
Yes, I'm a bit overwhelmed. Can you explain the system to me?
Right! The first thing you do.... Und voller Motivation begann er mich einzuweisen:
Er zeigte auf ein Regal voller verschiedener Uhren und Wecker. Davon solle ich mir eine aussuchen. Hinten auf der Uhr stand ein Name (meine hieß Boris), den ich auf eine Art Anwesenheitszettel schreiben sollte, zusammen mit meinem Namen und meiner Ankunftszeit. Dieser Zettel kam an eine Schnur an der Wand, wo schon alle Zettel der anderen Besucher hingen. Mit Boris in der Hand folgte ich Sasha durch das Wohnzimmer - Over there we have books. This here is the piano. (Obviously) - in die kleine Küche. Diese erinnert an eine StudentenWG bzw. an eine Jugendherberge:
Es war ein bisschen unordentlich.
Häferl verschiedenster Art füllten die Regale.
Jemand kochte sich gerade etwas zu essen.
Andere Leute machten sich Tee oder standen einfach herum und plauderten.
You can bring your own food and heat it here. Just help yourself to tea and coffee and enjoy your time. Damit war der Rundgang durch die premises beendet.
Ich war immer noch etwas überwältigt und begann damit, mir einen Platz zu suchen. Ich fand einen etwas durchhängenden Regisseurssessel an einem bereits besetzten Tisch (das waren sie alle) und stellte Boris dort einmal ab. Dann ging ich in die Küche, um mir Kaffee zu holen. Komisches Gefühl: als würde man sich in einer fremden Küche bedienen. Ich redete mir ein, dass das ganz normal sei und glaubte es mir nach einer Weile auch.
Schließlich hatte ich eine Riesenkanne voll frischen Kaffees gemacht (weil der natürlich gerade leer sein musste, als ich mir welchen holen wollte) und saß mit meinem schicken Häferl und meinen Arbeitsmaterialien endlich irgendwo in Ruhe und ohne ständige Laufkundschaft. Ich entspannte mich, sah dem Regen zu, arbeitete ein bisschen und sog die Atmosphäre ein.
Nach etwa zwei Stunden beendete ich meinen Besuch, füllte die Abreisezeit auf meinem Anwesenheitszettel aus und berechnete meine Geldschuld relativ zur Zeit. Ich weiß nicht mehr, was ich bezahlte, aber es war nicht mehr, als ich in einem durchschnittlichen Coffeeshop für ein durchschnittliches Getränk abgelegt hätte. Jetzt wo ich die Adresse kenne, werde ich vermutlich wieder einmal dort Herberg suchen.
Schlussendlich plauderte der junge Mann vom Anfang (Sasha) mich nochmal an und ich hielt mich noch eine halbe Stunde länger (gratis) auf, weil das Gespräch so interessant war. Stellte sich heraus, dass er Ire ist, aber in Deutschland zur Schule ging. (Hatte ich mich also nicht ganz verhört...)
Er erzählte mir, dass viele Leute zum Arbeiten ins Ziferblat kämen, weil sie die Atmosphäre so schätzten, ein Teil seien auch Touristen, die einfach neugierig seien, oder Stammkundschaft, die das Wohnzimmer schätzt. Einzig ein Problem hatte das Ziferblat als ich gerade dort war: Der Besitzer wollte die Betreiber beklagen, weil sie angeblich ein Kaffeehaus betreiben und das nicht angemeldet hätten bzw. er das in seinen heiligen Hallen nicht wolle. Doch das Ziferblat ist kein Kaffeehaus. Man bemüht sich sehr, das zu kommunizieren und die Unterstützung der Besucher zu bekommen, damit man bleiben darf. Ich hoffe, es klappt - solche Oasen sind wertvoll.
1 comment:
liebe kristina , danke für eure postkarte vom west highland way , das muss eine der schönsten gegenden von schottland sein , gepäck beim wandern ist etwas für ausdauernde , macht aber auch unabhängig , bibi war gerade 6 wochen in spanien auf dem jakobsweg , ich bin schon gespannt was du von schottland bloggen wirst mit lieben grüßen an ilse und dich guki
Post a Comment