Friday, March 30, 2012

Slam it!

In einer Stadt wie Wien gibt es ja zahlreiche und manigfaltige Möglichkeiten der Abendgestaltung. Viele wurden von mir schon getestet oder werden regelmäßig beansprucht, doch hin und wieder ergeben sich noch Neuheiten. Letzten Mittwoch, beispielsweise, als ich zu einem Poetry Slam mitgenommen wurde.

Ich hatte eine sehr vage Idee davon, was mich erwarten würde, und meine Stimmung schwankte zwischen freudig-erwartungsvoll und auf-unbeeindruckend-eingestellt.
Eingetroffen, hingesetzt und mit einem Glas weißen Spritzers zur fortlaufenden Hydration versorgt, ließ ich erste Eindrücke wirken und lernte gleich mal im Detail, was geschehen würde:
Ein Poetry Slam ist eine sehr informelle Veranstaltung: ein buntgemischtes, sich durch wenig Schüchternheit und viel Enthusiasmus (mit fortschreitendem Abend und steigendem Alkoholkonsum ebenso steigend) auszeichnendes Publikum, das sich gerne an sprachlichen Perlen ergötzt.


Poeten und Menschen, die sich als solche sehen, dürfen sich anmelden, eine Reihenfolge wird gelost und die Vorträger bekommen dann 5 Minuten, in welchen sie auf einer kleinen Bühne einen (bei entsprechender Kürze auch mehrere) selbstgeschriebenen Text zum Besten geben dürfen. Ziel ist es, die Gunst des Publikums zu gewinnen. Da von Applaus allein noch niemand satt geworden ist, werden freiwillige Spenden in einem Topf (oder nachhaltigen Stoffsackerl) gesammelt, die der Sieger/die Siegerin des Abends mit nach Hause nehmen darf. Um jene(n) zu bestimmen, werden an eine handvoll Freiwilliger Jurykarten verteilt, anhand denen eine Wertung erstellt wird. Die höchste Summe der Punktezahlen siegt.

So viel wusste ich. Etwas eingeschüchtert war ich jedoch, da ich irgendwie halb erwartete, als Publikumsteil miteinbezogen zu werden und direkt angesprochen zu werden - eine Sorge, die sich als unbegründet herausstellen sollte.

Der erste Poet - das ungewertete Opferlamm "zur Eichung des Publikums" - trat auf und trug in klarem, deutschem Hochdeutsch einen Text über Liebe, Abschied, Sehnsucht und Selbstmord vor. Kontrastär war dazu der erste echte Kandidat, der mit einer sehr wienerischen Färbung sprach, was sich mehr als erwartet auf die Wirkung des Gedichts schlug. Und so ging's dahin. Das meiste war sozialkritisch, vieles ist selbstironisch, anderes komplett trivial. Mit jedem vorgetragenen Text taute das Publikum (inklusive mir) mehr auf, lachte, klatschte, kommentiere und so herrschte bald freundlich-entspannte Wohnzimmeratmosphäre.

Ich entdeckte ganz neu, was für ein genial wirkungsvolles Kunstmittel Sprache ist, wenn sie gut eingesetzt wird. Wie Stimme, Tonlage, Sprechtempo, Mimik und Gestik alle einen klein wirkenden, aber doch ungemein bedeutenden Beitrag zum Gesamtkunstwerk leisten. Wie man mit diesen wenigen Mitteln doch einen ungemeinen Eindruck und tolle Effekte erziehlen kann; Stampfen, Wortrhythmik, Schreien, Flüstern, Walgesänge, ein Hauch Desperation - all das fügt dem verbalen Bild eine neue Farbe hinzu). Bald war ich reingesaugt in dieses auditive Erlebniss und so manches Gedicht bahnte sich seinen Weg tiefer unter meine Haut, als ich für möglich gehalten hätte. Besonders das Siegergedicht über Krieg in Bosnien ging mir nahe - vielleicht deshalb, weil es einen ernsten Kontrast zu den anderen, leichteren Themen bildete.

Fazit: Ich fühlte mich besser unterhalten, als bei den meisten Theateraufführungen und bin wieder verstärkt auf den Geschmack für Sprache gekommen. Ich habe gelernt, dass geschriebene Sprache eindimensional ist - oder vielmehr, dass Sprache ungleich an Wirkung gewinnt, wenn sie gesprochen wird. Und dass hierbei, dialektale Färbung eine größere Rolle spielt, als ich gedacht hätte.
Kurz: ich war richtig fasziniert und werde mein Abendausfülloptionsrepertoire gerne auch in Hinkunft um dieses Juwel bereichern. Und eventuell die eine oder andere geneigte Person mitschleppen und versuchen, mit meiner Begeisterung zu infizieren. Impft euch rechtzeitig!

No comments: