Saturday, May 14, 2022

Il Cammino di Dante (Teil 9) - Kurzer Weg, nette Begegnungen

Gestern entschied ich dann doch, im Hotel zu essen. Mittlerweile erfüllt mich die Aussicht auf ein unkompliziertes Abendessen, das ich nicht erst suchen gehen muss, jeden Tag mit Freude - das hatte ich anfangs unterschätzt.

Nach kurzer Verwirrung, ob Lasagne Fleisch enthalte oder nicht, bot mir die Wirtin Fischrisotto und danach einen Fischteller (etwas einseitig, aber dennoch gut) an. 

Ein älterer Mann betrat das Hotelrestaurant, sah mich und setzte sich so, dass er mir quer durchs (sonst leere) Lokal gegenübersaß, um mich kurz darauf anzuplaudern. Ich tat mir sehr schwer, ihn zu verstehen, was durch die fehlende Zahnreihe und die Tatsache, dass er immer wieder mit vollem Mund sprach, nicht gerade erleichtert wurde. Dennoch entspann sich ein Gespräch, indem mein Eindruck von Premilcuore bestätigt wurde: 

Er erzählte mir, dass es im Ort nichts gäbe, schon gar keine Arbeit. Die Jungen zögen alle weg, man fände niemanden, um sich zu unterhalten. Keine Abwechslung. Ja, ein paar Touristen kämen, aber seit Corona noch weniger als schon davor. Er selbst sei ja früher viel herumgekommen, auch nach Tirol, doch sein Haus habe er hier gebaut und drum käme er immer wieder zurück, denn verkaufen wolle er es auch nicht. Aber traurig sei das schon alles. Naja, so sei halt das Leben. Wohin ich denn ginge? Ich erzählte ein bisschen und sagte, dass meine nächste Etappe mich nach Portico di Romagna führen würde. Ah, von dort sei seine Mutter. Zu den Großeltern sei er früher zu Fuß gegangen, also kenne er den Weg sehr gut. Portico sei so wie Premilcuore: auch ein kleines Dorf, in dem nichts los sei. 
Als wir aufgegessen haben und sich ein Bekannter an den Tisch meines Gesprächspartners setzt, wünsche ich einen schönen Abend und ziehe mich zurück.

In der Früh esse ich mein karges Frühstück (Kaffee und Croissant), zahle die vergleichsweise geschmalzene Rechnung für alles und gehe los.

Etappe 6 (offiziell Etappe 16): von Premilcuore nach Portico di Romagna. Der Weg ist kurz: er führt auf einen Hügel hinauf und auf der anderen Seite wieder hinunter. 

Der Aufstieg ist relativ steil und die Sonne bringt mich gleich auf den ersten beiden Kilometern ins Schwitzen. Ich komme an einem Garten vorbei, in dem drei Leute sitzen und grüße: "Buongiorno!" - "Buongiorno!", grüßen sie freundlich zurück. 

Dann ruft die Frau: "Vuoi da bere?" (= "Magst du etwas trinken?") Ich überlege kurz, doch da ich tatsächlich Durst habe und außerdem wirklich keine Eile, nehme ich das Angebot an. Die Frau sucht vergeblich nach dem Schlüssel des Gartentores und bedeutet mir dann, einfach über den (hüfthohen) Zaun zu steigen. Ich hieve den Rucksack drüber und folge. 
Sie: "Vuoi una birra?" (= "Magst du ein Bier?") - "No, grazie, un po' d'acqua per favore." 
Während die Frau Wasser holen geht, plaudern mich die beiden Männer, die gerade Pause von ihrer Maurerarbeit machen, an und stellen die üblichen Fragen: Woher ich sei, wohin ich ginge, wie weit heute, wo ich schon gewesen etc. Ich hole kurzum den Plan und zeige ihnen den Weg - sie sind sehr interessiert und sehen sich den Plan genau an.
Die Frau kommt mit einem Krug Wasser und einem Glas zurück und erzählt mir, dass das Wasser direkt hier von der Quelle sei. Ihr Opa habe eine Analyse durchführen lassen und es sei nicht nur wohlschmeckend, sondern auch sehr bekömmlich.
Wir plaudern noch eine Weile über die Gegend und sie fragt mich noch dreimal, ob ich nicht doch ein Bier wolle. Oder Kaffee? Oder eine Piadina (= gefülltes Fladenbrot)? Ich lehne dankend ab.
Ihr Mann sagt: "Wenn du dann wieder zurückgehst, kannst du hier im Schwimmbad schon schwimmen [deutet auf sein Maurerwerk] und dann essen wir Spaghetti!" Es ist natürlich ein Scherz, denn er weiß, dass mich der Rückweg hier nicht vorbeiführen wird, aber dennoch eine nette Geste.
Nachdem ich das zweite Glas Wasser ausgetrunken habe, danke ich ihnen nochmal - für Getränk und Gesellschaft - wünsche frohes Schaffen und ziehe weiter.

Bereits 3 km später erreiche ich die Hügelkuppe, die sich mit seinen 742 m Seehöhe Monte Orlando nennt. Mein halber Weg ist schon wieder gemeistert und es ist gerade erst 10:00. Da der Ort und der Ausblick schön sind, lasse ich mich hier für eine gute Stunde nieder, um zu lesen und zu schreiben.


Danach steige ich nach Portico di Romagna ab und komme exakt zum Zwölfeläuten dort an. 

Erster Blick auf Portico di Romagna

Man geht an schön gepflegten Gemüsegärten vorbei und betritt über eine hohe, alte Steinbrücke (Ponte Maestà) den Ort

Der Mann von gestern hatte Recht: im Grunde ist Portico ein Ort wie Premilcuore: ähnliche Größe, ähnliche Struktur. Dennoch fühlt es sich hier ganz anders an. Alles wirkt liebevoller gepflegt und belebter. Über dem Ort hängt nicht dieselbe Tristesse. Im Hotel finde ich einen schönen, informativ gestalteten Flyer, der den Ort in Hinblick auf Lage, Geschichte und Infrastruktur vorstellt. Es gibt ein Buchgeschäft, das auch Gratisbücher anbietet und ein kleines Theater. Man bemüht sich sichtlich.

Viele Blumen an den Häusern

Ich habe Glück und kann gleich einchecken. Es folgt die übliche Routine: auspacken, duschen, Wäsche waschen und aufhängen. Dann gehe ich mit leichterem Gepäck eine Runde.

So trocknet die Wäsche gut

Ich finde einen Pfad über den Fluss (durch einen Wegweiser legitimiert), der allerdings in Teilen vom Fluss überspült wird:


Ich gehe bis zur Mitte (vom trockenen Ufer weg) und lasse mich dort für eine halbe Stunde auf einem Steinblock nieder, um die Infobroschüre und Dante zu lesen und meine Füße im Fluss zu kühlen. Dann setze ich ganz über.

Ich gehe meine Runde fertig und finde außerhalb des Ortes ein nettes kleines Lokal, in dem man im Grünen sitzen kann und das herrliche Piadine anbietet. Viele Motorradfahrer ziehen dort vorbei, oder machen Rast. Der Kellner spricht mich auf Englisch an und ich befrage ihn ein wenig über den Ort und ob es ein Lebensmittelgeschäft gäbe. "Leider nein", sagt er - ein wenig bitter - "Aber vielleicht machen sie dir in einer der beiden Bars ein Panino zum Mitnehmen. Die Fleischerei hat auch ein paar Speisen." Na gut, das wird morgen interessant. Lebensmittelgeschäft und Bäcker gab es wohl mal, aber jetzt (seit Corona?) nicht mehr.

Späte Mittagspause

Ich bleibe den ganzen Nachmittag im Gartenlokal. Gestern hatte ich noch Sorge, dass ich mich langweilen würde, da mein Weg nur so kurz sein würde, doch der Ort lädt wirklich zum Verweilen ein und meinem Körper tut die Pause gut. Morgen kommt ohnehin wieder eine sehr lange Etappe.


Etappenzusammenfassung (laut Uhr):
9 km Distanz
370 Hm Gesamtanstieg
knappe 2h reine Gehzeit

Körperzustandszusammenfassung:
Keine Schmerzen, alles gut. Selbst die Fußsohlen fühlen sich kaum beansprucht an.

Lektürefortschritt:
Dantes Fegefeuer / Läuterungsberg, 11. Gesang


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