Saturday, November 21, 2009

Ungebrochener Rededrang

Man merkt, dass wir in einem Zeitalter leben, in dem Information das Ein und Alles ist. Jederzeit, ohne Unterbrechung und ohne Verzögerung. Ist der Redeschwall mal in Bewegung gesetzt, liegt es oft nicht im Interesse des Kommunizierenden, ihn einzudämmen oder zu bremsen - komme was wolle. Oder wer wolle.

Im meinem Fall kam ich. Nämlich als Kundin in eine gewisse musische Buchhandlung, um dort diverse bestellte Bücher abzuholen. Ich trete an die Ausgabestelle, grüße freundlich, lächle und warte, dass eine der beiden Damen hinter dem Pult mir Aufmerksamkeit schenkt. Sie unterhalten sich gerade über irgendwelche interpersonellen Begebenheiten: Nicht extrem angeregt oder emotional, sondern so, als würden sie sich bei ihrer Arbeit irrsinnig langweilen. Soll vorkommen.
Aber nun bin ja ich da: die Kundin. Ich schaffe Abwechslung und gebe ihnen durch meine Anwesenheit etwas zu tun.
Sollte man glauben.
Man nimmt mich wahr und wirft mir einen bösen Blick zu, weil ich es wage, mit meinem Gruß das Gespräch der beiden zu stören.
die Typin: Ja?
ich: Ich habe ein paar Bücher bestellt, auf den Namen H-.
Sie nimmt's scheinbar zur Kenntnis, dreht sich zum Regal um, stöbert. Die Kollegin redet derweil weiter.
Sind lauter Reclams. (Ich dachte ich sei hilfreich.)

Sie reagiert in keinster Weise, geht aber auf das von der Kollegin gesagte ein. Ich fühle mich mittlerweile höchst unwillkommen und bin schon knapp dran, mich für meine Artikulation zu entschuldigen - wenn das nicht wieder eine Störung dargestellt hätte.
Sie scannt die Bücher, unterbricht ihr Reden kurz, um mir den Betrag zu nennen und sogleich das kollgiale Gespräch wieder aufzunehmen.
Ich zahle mit einem zu großen Schein, man händigt mir das Wechselgeld und die Rechnung wortlos aus und ich beeile mich, alles einzustecken um diesen ungemütlichen Ort möglichst schnell zu verlassen.
Noch nicht ganz untergekriegt, wage ich einen verabschiedenden Gruß und - ohne zurückgegrüßt zu werden - gehe ich.

Offenbar ist es nicht notwendig, mit dem Kunden zu kommunizieren, auch wenn man dafür eigentlich bezahlt wird. Nein, Privatgespräche haben wohl trotzdem Vorrang, denn wie kann man den Arbeitern zumuten, diese für 5 Minuten zu unterbrechen, damit man den Kunden bedient? Ehrlich gesagt sind mir da self-check-outs fast schon lieber: die grüßen wenigstens.

Wednesday, November 11, 2009

Irreale Landwirtschaft als Motivationskiller

"Aren't all games purely design?", Esther says. "None of them exactly exist. It's just binary code, isn't it?"

-- from PopCo (Scarlett Thomas)

Eine sehr bekannte internationale Vernetzungsplattform bietet ja bekanntermaßen neben ihrer Hauptfunktion - nur zur Sicherheit: das ist das Vernetzen und Ermöglichen der Aufrechterhaltung diverser Kontakte, die man entweder eh ständig sieht, oder aus den Augen verloren hat, weil man sich nicht mehr für einander interessiert oder an geographisch weit distanzierten Orten wohnt - auch noch viele weitere, die der Unterhaltung und Zeittotschlägerei dienen sollen. Diese sind vor allem Spiele und Quizzes, die durch direkten Vergleich der Leistung von Freunden den Ehrgeiz der jeweils gelangweilten Benutzer wecken und antreiben: Wer weiß am Meisten? Wer ist am schnellsten? Und warum ist Freund Franz* immer an der Spitze und ich kann ihn nicht besiegen?
*Besagter Franz existiert nicht und ist nur eine Musterfigur zu Illustrationszwecken.

Eines dieser wahrlich genialen Beschäftigungs- und Ablenkungsprogramme lockt den in seinem Zimmer sitzenden und das Tageslicht scheuenden, urbanisierten Menschen mit dem Angebot, seine eigene kleine Farm anzulegen und durch fleißiges Pflügen, Säen und Ernten den Besitz zu mehren. Die Ernteerträge aus zunächst Erdbeeren und Melanzani kann man, wenn man durch die Vielzahl an Levels immer mehr zum Großgrundbesitzer wird, am "Markt" (d.h. in einem Pop-up Fenster) für neue Samen oder sinnlose Dekorationsgegenstände, wie z.b. Büsche in Gansform, investieren.

Wie bei allen Spielen dieser Art, kann man sich natürlich auch hier mit seinen Freunden vernetzen und diese zu Nachbarn machen. Und damit man hier nicht nur konkurriert (das hier beschriebene ist schließlich ein sonniges, buntes, fröhliches Spiel) kann man die benachbarten Farmen auch besuchen, um dort dem Besitzer beim Unkrautjäten oder Vertreiben von Waschbären zu helfen. Sogar düngen kann man. (Um diese zeitintensive Nachbarschaftshilfe zu fördern, bekommt der Helfende als Belohnung ein paar fiktive Münzen und Erfahrungspunkte).
[Paradoxerweise kann man den Nachbarn auch beim Laubrechen helfen, während am "Markt" dekorative Laubhaufen für teures Spielgeld feilgeboten werden.... Do I spot a flaw there?]

Auch ich bin diesem Wahn erlegen und, weit abgeschlagen von meinen Freunden, dümple ich irgendwo im 20. Level herum, denn ich habe meine Farm nicht vergrößert und auch kaum Anbauflächen, denn die ästhetische Planung und Strukturierung derselben liegt mir eher am Herzen als die Mehrung von (fiktivem) Besitz. Besagte Planung wiederum gestaltet sich schwierig, da ich durch die mangelnde Produktion nur langsam aufsteige und mir in niedrigen Levels die Sachen, die ich will, noch nicht zugänglich sind. (Immerhin habe ich mittlerweile ein Haus...)

Mit meinem Reichtum und der Ästhetik meines kleinen Bauernanwesens (das Pferd ist übrigens fast so groß wie mein schnuckeliges Cottage) wächst auch mein Ärger über diese sinnlose Zeitverschwendung, denn natürlich muss ich nach dem Einschalten des Computers zuerst einmal die Flaschenkürbisse und Tulpen ernten, bevor ich mich auf wirklich wichtige Dinge konzentrieren kann. Das Obst- und Gemüsezeug ist praktischerweise auch noch so programmiert, dass es unterschiedlich lange zum Reifen braucht, weshalb man optimalerweise alle 2 Stunden mal nachschaut. (Im benachbarten Tab befinde ich mich übrigens auf meinem programmierten Landanwesen, während ich im realen Leben meinen digitalen Block mit unnötiger Information fülle.)

So läuft man also lieber stundenlang auf seiner fiktiven Farm herum, anstatt vielleicht mal raus an die echte frische Luft zu gehen oder einfach mal einen Aufsatz für die Uni zu schreiben. Wenn man dann doch mal die grünen Wiesen und rosaroten [!] Kirschbäume zurücklässt und im realen Leben die echten Menschen hinter seinen fiktiven Agrarökonomennachbarn trifft, werden nicht etwa "normale" Themen besprochen - oh nein! Man unterhält sich über die neuesten Entwicklungen am virtuellen Lande, die Ästhetik der Nachbarsfarmen und diskutiert darüber, was man gern als nächstes geschenkt bekommen würde (einen Bananenbaum, oder doch lieber ein Vogelbad?) und so greift die fiktive Welt auf die wirkliche über.

Mein Verstand sagt mir, dass das nicht gut ist, aber ich kann leider nicht näher darauf eingehen, denn ich glaube, meine Avocados wollen geerntet werden....