Wednesday, November 06, 2013

Jugendstil und Schwarzbier

Diese Reise begann mit einer Frage "Was hältst du davon nach Budapest zu fahren? Ich brauch' noch Flugmeilen." Ich hatte schon fadenscheinigere Gründe zu verreisen und dieser schien mir gut genug, besonders, da es darum ging, ein Wochenende mit meinen langjährigen Reisekumpanen Stephan und Felix zu verbringen, die ich beide nun nicht mehr so einfach und so oft zu Gesicht bekomme wie zu den Zeiten, als wir alle noch studierten.
Budapest wurde es dann allerdings nicht, sondern Prag. Immerhin hatte ich mir vor meiner letzten Pragreise eine Grippe zugezogen, die mir diesen Ausflug verunmöglichte und mich ins Bett zwang.

Von Wien ist man in knappen 4,5 Stunden in Prag. Dort war es kalt und windig und ich war bei Ankunft unterkoffeiniert, weswegen wir in einer netten kleinen Baumkuchenbäckerei (Baumkuchen = Trdelnik) Zuflucht, Kaffee und Trdelniks suchten und fanden und unser Wochenende planten.

Prag ist eine interessante Stadt. Ich erkannte allerhand Elemente der beiden mir vertrautesten Kulturen wieder: neben der Raiffeisenbank gab es einen M&S, dann einen Interspar, einen Billa, Costa Coffee und einen Debenhams. Es war befremdlich. Die Jugendstilarchitektur Alfons Muchas gab das ihrige noch dazu und sorgte für den nötigen künstlerischen Jahrhundertwendeflair. Lange konnte ich mich darauf allerdings nicht konzentrieren, denn meine Nase verlangte mehr Aufmerksamkeit als meine Augen: es roch überall nach dem karamellisierten Zucker auf frisch gebackenen Trdelniks und nach dem Frittierfett und Knoblauchöl der Langosstände, sowie nach frisch-gekochten Würsteln. Der Geruch änderte sich auf jeder Ecke und jedem Platz.

Plätze in Prag sind überhaupt eine komische Sache: ich hatte das Gefühl, dass man mitten auf jeden freien Platz (weil ja noch Platz frei ist) ein Gebäude oder zumindest einen Obelisken hingeklotzt hat. Alle Plätze wirkten darum auf mich sehr fragmentiert, bis auf den Altstädter Ring, der trotz seines Namens kein Ring ist sondern ein Platz: dort scheint nichts hingeklotzt worden zu sein. ("Scheint", denn der Schein trügt, wie unser charmanter niederländischer Guide uns belehren soll: das Gebäude, das mitten am Platz gestanden hatte war im Krieg zerstört worden.)

Wie haben wir die Zeit in Prag genutzt?

1. Wir schlugen durch die Menschenmassen auf die Karlsbrücke eine Bresche und mieden jene Brücke fürderhin, da sie einfach zu dicht belaufen ist. (Leider hatte ich dadurch zuerst keinen Nerv und danach keine Gelegenheit mehr bei den Schmuckständen ebendort stehenzubleiben und fuhr schmucklos wieder nach Hause.)

2. Wir waren am Hradschin, dem Burgkomplex, der auf einem Berg jenseits der Moldau liegt und haben uns dort durch einige der Gebäude führen lassen. (Eines davon war der Königspalast, in dessen großen Saal im ersten Stock dereinst sogar Ritterturniere zu Pferd abgehalten wurden. Dafür gab es eine eigene Pferdetreppe). Um 4 Uhr nachmittags wurden wir rausgeschmissen und kehrten daher - mit immer noch gültigem Ticket - am nächsten Tag bei noch stärkerem Wind und schlimmerer Kälte dorthin zurück und besichtigten den Rest. Das "goldene Gasserl" gefiel mir dabei mit seinen kleinen bunten Häuschen am besten (wenngleich ich es für nicht notwendig befinde, in jedem zweiten dieser Häuschen einen Souvenirshop unterzubringen).

3. Wir fielen durchfroren, hungrig (ich) und durstig in eine Gastwirtschaft (U Provaznice) ein, die uns von einem Kollegen Stephans empfohlen worden war und genossen dort zu fünft in etwa 30 Krügerl Bier. (Nein, wir hatten uns nicht auf einmal wundersam vermehrt, sondern wurden von Stargast Mo und dann von Stephans Kollegen für ein paar Biere beehrt).
Man kann Bier mögen oder nicht mögen. Ich mag Bier eigentlich eher nicht bzw nur selten. Dieses tschechische Bier aber - vor allem das dunkle! - haben es mir angetan und ich kann nun verstehen, warum es so beschwärmt wird. Zum Glück gab es dort auch sehr gute (deftige) Speisen für wenig Geld.

Der Abend wurde lang, die Nacht folglich umso kürzer. Von der Gastwirtschaft ging's in einen Jazzkeller (Ungelt), der leider schloss, nachdem wir ein Getränk konsumiert hatten, und dann weiter in einen Club mit verschiedenen Ebenen, einer belebten und berauchten (durch Raucher und eine Rauchmaschine) Tanzfläche, den wohl schlechtesten Poledancern, die ich je gesehen hatte und jeder Menge Bars, Ecken und Winkerln.
Irgenwann wurden wir allerdings auch müde und bezogen für etwa 4 Stunden noch unsere Zimmer.

Der zweite Tag brachte Regen und - passenderweise - eine Stadtführung. In Prag werden - wie auch in etlichen anderen europäischen Städten - Free Tours angeboten. Diese kenne ich bereits aus Dublin und Edinburgh und meine Erfahrungswerte sollten mich nicht enttäuschen: Tijo (/teio/) aus den Niederlanden führte uns mit Fachwissen, Schmäh und viel Motivation und belohnte unsere Mitarbeit mit high-fives. (Defenestration ist i.Ü. ein wunderschönes Wort, das ich gerne in meinen Wortschatz integrieren würde, worin ich aber vermutlich an der Realität scheitern werde.)
Die obligatorische Pause verbrachten wir beim 3. Frühstück und dem 2. (bodenlosen) Kaffee im "Bohemia Bagel", das an Flair mit "Mikes Bites" in Llanberis (Wales) mithalten kann (was freilich vermutlich keinem der Leser etwas bringt, aber beide seien hiermit empfohlen als unkomplizierte, bunte, gemütliche, jugendliche Ausgabestätten günstiger und guter Nahrung).
Es ging weiter durch's Judenviertel und von Minute zu Minute fror ich schlimmer, sodass ich nach Entlassung von der Tour im Eiltempo den Starbucks zu Fuße des Hradschin anstrebte, damit ich mir die Finger wärmen könne, bevor wir den Berg ein weiteres Mal erklommen (s.o.) und noch mehr Zeit in der Kälte verbrachten.

Nachdem wir um 4 wieder hinausgeschmissen wurden und Felix verabschiedet hatten, besuchten Stephan und ich noch das "Grand Café Orient", ein Kaffeehaus, das im kubistischen Stil erbaut und eingerichtet ist und schon allein deshalb besuchenswert. Es erinnert an Sortiment und Interieur (abseits der Kubistik) ansonsten sehr an Altwiener Kaffeehäuser. (Interessanterweise haben sie dort diese puddingartige heiße Schokolade, die mir ansonsten bisher nur in Sizilien und Rumänien untergekommen ist.)

So vertickten auch noch die letzten paar Stündchen, ich verabschiedete auch Stephan und setzte mich schließlich in den Zug....

Prag hat es mir unerwarteterweise angetan und auch die Massen an Touristen konnten mich nicht verschrecken. Ich will und werde zurückkehren, denn die Free Tour hat Lust auf mehr gemacht und auch die Kulinarik will noch weiter ausgetestet werden!

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