Monday, April 05, 2010

Tales of Bangor #17 (rhif un deg saith) - Familiäre Visitation

Pünktlich zur Halbzeit meines Aufenthalts kamen drei Dinge: Die Osterferien, meine liebe Familie und typisch walisisches Wetter. Während ich mich über erstere beide gefreut habe, war letzteres eher verdrießlich, vor allem in Kombination mit zweiterem, aber von vorne:

Die erste Woche verbrachte ich mit Wanderungen, reifenzerfetzenden Fahrradtouren, Ausflügen und, ob der Abwesenheit von sowohl Co-Erasmen als auch Mitbewohnern, mit universitären Arbeiten.

Dann kam die liebe Familie und sie hatten einen einzigen Wunsch, der sich wie ein roter Faden durch die ganze Woche ziehen sollte: Irgendwohin gehen wo's warm ist. Das taten wir auch in überhöhter Frequenz und tranken Kaffee und Tee in eher außergewöhnlichen Mengen. Aber das war natürlich nicht die einzige Beschäftigung, der wir nachgingen.
Auf mein Drängen hin hatte mein hochgeschätzer Vater sich bereiterklärt, ein Auto zu mieten und sich der Schwierigkeit des Linksfahrens und v.a. -schaltens zu stellen. Hut ab! (Nach ein paar Tagen haben wir auch die Kreisverkehre und das richtige Verhalten in selbigen verstanden.) Dadurch einigermaßen mobil klapperten wir alle Punkte auf meiner imaginären "Da-will-ich-unbedingt-hin-Liste" ab, hier eine kurze Zusammenfassung:

~ Beaumaris: Castle & Jail

Der Eingang zur Haftanstalt: wegen massenhaft Schülergruppen brauchte es zwei Anläufe, bis wir hineinkamen

Das Schloss findet sich bereits in einem meiner ersten Einträge zu Bangor, also sei dazu nichts mehr gesagt. Das Gefängnis hingegen war mir selber noch unbekannt und sollte sich als sehr sehenswert herausstellen: Wasseranschluss und Wasserklosetts in allen Zellen, die durch einen Wassertank in einem der oberen Stöcke betrieben wurden. Dieser Wassertank wurde von den Gefangenen durch das Betreiben einer Tretmühle gefüllt - erstmals eine "sinnvolle" Bestrafung, da sie auch einen Zweck erfüllt - im Gegensatz zum Drehen eines Mühlrads, das nichts mahlt sondern nur dazu dient den Gefangenen mürbe zu machen. Quite advanced for the 19th century.
Eine der niedrigen Eisengittertüren sollte mir dann zum Verhängnis werden...

... Autsch. Es war auch die einzige Tür an der nicht groß "Mind your head" stand und da ich im Hinausgehen meinen Kopf dem aus Schiefer gefertigten Wassertank zu meiner Rechten zugewandt hatte, sah ich das Hindernis nicht kommen. Zum Glück ist keine Beule draus geworden...


~ Llanberis: Slate Museum


Das tägliche Arbeiterleben in Nord-Wales war bis vor etwa 40 Jahre vom Schieferabbau (Schiefer = slate) geprägt und in der mystisch-schöne Landschaft des Nationalparks Snowdonia reißen Steinbrüch an manchen Stellen große, klaffende Wunden in die Bergflanken: hässliche, stumme Zeugen von hart verdientem Brot, Arbeitsunfällen, Staublungen und relativer Armut. Diese Zeiten sind vorbei, aber das Schiefermuseum in Llanberis lässt den Besucher einen Blick auf die nicht so schöne Vergangenheit werfen. (Wie in allen wirklich guten Museen im UK ist der Eintritt frei.)


~ Penrhyn Castle
...wohl die einzige wirkliche Sehenswürdigkeit, die Bangor selber zu bieten hat.



Penrhyn Castle unterscheidet sich von allen anderen hier präsentierten Schlössern dadurch, dass es kein "echtes" Schloss ist. Es wurde von Lord Pennant (Herrscher über viele Steinbrüche in der Gegend und damit auch Besitzer riesiger Gebiete und Anwesen in Nord-West Wales) Anfang des 19. Jahrhunderts als sein Wohnhaus in Auftrag gegeben und vom Profit der Schieferindustrie und seiner Zuckerplantagen in Jamaica finanziert.
Schon beim Betreten der opulenten Eingangshalle hat mir gegraust: Dass jemand sich in einem derartig protzigen Bauwerk wohlfühlen kann, während die Arbeiter für ein Fünftel der geleisteten Arbeit nicht bezahlt werden (weil ja eh immer was zu Bruch geht und man deshalb sicherheitshalber gleich um 28% mehr produzieren muss. Unbezahlt. Denn im Zweifelsfalle ist der Arbeiter schuld.)! Das geht mir nicht ein. Ich hoffe Familie Pennant wurde von Albträumen geplagt!
Höchst faszinierend war es dennoch die beiden wuchtigen Treppenhäuser (eins für die Diener und eins für die Herrschaften und deren Gäste), die aufwendig gestalteten Räume und das Klingelsystem (jeder Raum hat einen versteckten Schalter, der eine Glocke im Dienertrakt auslöst) zu sehen und mit einer Mischung aus Staunen und Verachtung ließ ich mich via Audioguide von den "Dienern" der Herrschaften von Raum zu Raum lotsen und musste oft den Kopf schütteln ob der romantischen Schilderung des Dienerlebens.

Die postpluviale Lichtstimmung inszenierte das Schloss horrorfilmreif - fehlt nur noch ein zuckender Blitz!



~ CAT - Centre of Alternative Technology

Bleiben wir doch noch ein bisschen beim Schiefer und Steinbrüchen. In einem alten snowdonischen Steinbruch hat sich nämlich in den 70ern eine Hippiekommune niedergelassen: Ein Grüppchen von Idealisten die von der Schnelllebigkeit der wachsenden Wegwerfgesellschaft Abstand suchten schlug ausgerechnet in einem alten Steinbruch ihre Zelte auf (fruchtbareren Boden findet man wohl kaum wo... aber warum sich's leicht machen, wenn's auch kompliziert geht?) und begann, sich in der Verwirklichung eines nachhaltigeren Lebensstils zu versuchen. Gemüse wird selber angebaut; was wiederverwertbar ist wird recycled; was kompostierbar ist, kompostiert; was ohne Strom machbar ist, wird ohne Strom gemacht (z.B. ein Kühlhaus in der Erde und eine stromlos betriebene Seilbahn, die mit Wasser und der Ausnutzung der Schwerkraft funktioniert); ein Stausee zur Betreibung der Toiletten wurde angelegt und natürlich entsprechende chemikalienfreie Kläranlagen. Es las sich in meinem Reiseführer hochinteressant und deshalb ließen wir uns von der weiten Strecke nicht abschrecken und lagen meinen Eltern so lange in den Ohren bis wir schließlich hinfuhren.

Kräutergarten: alles in kleinen Containern auf der eigenen Terrasse möglich (wenn man doch nur eine hätte!)


Mülltrennung ist essentiell

Viele ausführliche Informationstafeln, Schauhäuser und -systeme und Konstrukte, an denen man Funktionsweisen gewisser physikalischer Prinzipien selber ausprobieren und erleben kann (Solaranlagen, Dynamos, ein Modell eines Glashauses ...) gestalteten den Besuch des Zentrums trotz nasskaltem Regenwetter zugleich lehrreich und unterhaltsam. In so Manchem wurde ich bestärkt, zu einigem Anderen bekam ich Denkanstöße.

Insektenwohnungen: Insekten werden nicht abgelehnt sondern sind wichtig für ein gesundes Ökosystem
(zb zur Pflanzenbestäubung, Kompostierung, Bodenaufarbeitung etc, aber das weiß man ja)

Die Menschen, die in dem Zentrum arbeiten, wohnen auch dort - es ist immer noch eine Kommune - und finanzieren mit dem Eintrittsgeld neue Projekte und den Ausbau des Zentrums.
Sie bieten auch Lehrgänge zum Bau eines energieeffizienten Hauses, Gartenbau, Wasserkraft und diverse andere, höchst interessante Programme für Schulklassen und Einzelpersonen an. Löblich! Vor Allem, weil's funktioniert. (Mehr Infos auf www.cat.org.uk)

Fazit: Eindeutig das Sehenswürdigkeits-Highlight der ganzen Woche.

Ein Bissl was zum Nachdenken und sich zum Herzen nehmen, als moralischer Abschluss:




~ Conwy: Castle & Plas Mawr

Conwy Castle, erbaut 1283-1289 vom englischen König Edward I, ist wieder mal ein klassisches Iron Ring* Castle - eines der wichtigeren und vermutlich sogar das schönste. Aus diesem Grund (und der Vollständigkeit halber) musste es besichtigt werden. Zur Abwechslung lächelte die Sonne vom Himmel und wir verbrachten den Vormittag mit dem Abschreiten der Stadtmauern, die die Altstadt von Conwy komplett umgeben und der Besichtigung des Schlosses.

* Zur Erinnerung: in seinem Bestreben die Waliser gefügig zu machen und Aufständen vorzubeugen (bzw diese niederzuschlagen) ließ Edward innerhalb weniger Jahre manche Schlösser, die sein Vater Henry III erbaut hatte, verstärken und andere (Harlech, Caernarfon, Conwy und Beaumaris) selbst erbauen.


...über Mauern...

...durch Mauern...

... auf Türme ...

... in Türme...


... und in die Schlosskapelle


Die Regenwolken kamen näher und nach einem flinken Rundgang durch das Mittelalterstädtchen beschlossen wir, dass es wohl an der Zeit war, uns an einen trockenbleibenden Ort zu begeben:


Wir besuchten Plas Mawr
, ein Herrenhaus aus der Zeit Königin Elisabeths (erbaut 1576-1585), das man mit neuen Methoden wieder in den ursprünglichen Zustand versetzt hat. Wie in Penrhyn Castle führte mich ein Audioguide in der Rolle des Oberdieners durch das Gebäude und erzählte mir allerhand Geschichte(n). Im Gegensatz zu Penrhyn musste ich hier allerdings keine horrenden Eintrittsgebühren zahlen, sondern hatte mit meiner CADW-Karte freien Zutritt, weshalb es sich gewissermaßen doppelt lohnte.

Küche: alle Lebensmittel waren echt und durch die vielen Gewürze hat's toll geduftet.


Die Woche verging erwartungsgemäß und so fand ich mich am Ostersonntag im Bed&Breakfast der Eltern zu einem gemeinsamen deftigen Frühstück ein und nahm kurz darauf Abschied. Eine schöne Woche - ein nettes Halbzeiterlebnis. Und obgleich ich nicht will, dass die nächsten beiden Monate schnell vergehen freue ich mich dennoch auch schon wieder ein kleines Bisschen auf die Heimat! Und damit ich so lange durchhalte, brachte meine Familie die Heimat in Form von Schwarzbrot, Speck, Kernöl und Mozartkugeln zu mir. Gratias ago vobis!

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