Sunday, May 15, 2022

Il Cammino di Dante (Teil 10) - Wenig Schlaf und viele Kilometer

Es ging gestern noch weiter mit den netten Begegnungen: Abends saß ich im Schanigarten des Hotelrestaurants neben einem britischen Paar, das für ein paar Tage in Portico Urlaub mit Kochkurs macht (hat sie ihm zum 60er geschenkt, aber wegen Corona wurde es dreimal verschoben). Da er auch gerne weitwandert, fanden wir sofort ein Thema und tauschten uns über Wanderwege in Großbritannien aus.

Als die beiden dann zum Essen hinein gingen (und ich für Gang 3 und 4 von meinem ausgezeichneten vegetarischen Edelmenü) draußen blieb, kam ein älterer Herr mit ganz kleinen Schritten um die Ecke gezuckelt. Der hatte mich schon zu Mittag gegrüßt und gefragt, wohin ich ginge. Wir grüßten einander auch am Abend und ich sagte "Wir haben einander doch schon zu Mittag getroffen!" Er verstand es als die Gesprächseinladung, die es durchaus war, und kam langsam und mit kleinen Schritten in den Schanigarten. Ob er sich zu mir setzen dürfe? - Freilich.
Das Gespräch begann wieder mit meiner Reise und den Wanderwegen hier in der Gegend. Als ich ihn dann fragte, ob er hier aus dem Ort sei, verriet er mir, dass er das Hotel gegründet hatte. Damals, als er noch jung war und sein Knie noch keine Probleme bereitete. Ich war beeindruckt und wir verbrachten eine geschlagene Stunde im angeregten Gespräch über das Hotel, die Gegend, die Gäste, den Ort, Trüffelsuche, Weinanbau und Italien im Allgemeinen. Mit einem derart feinen Gesprächspartner, der genau zuhörte, dann überlegte und dann wohlüberlegt sprach und selbst so viele interessante Dinge zu erzählen hatte, war der Abend eine reine Freude!

Leider war die Nacht kurz: von der Straße drangen Lärm und Gelsen herein (u.a. weil ich wegen der Wäsche das Fenster nicht schließen wollte) und ich bekam kaum ein Auge zu. Perfekte Voraussetzungen für einen ~30km-Tag.

Etappe 7 (offiziell 17): von Portico di Romagna nach Dovadola

Trotz der schlechten Nacht erhebe ich mich um 6:00, gehe zur Bar am Eck, um zwei gefüllte Weckerl für den Weg zu kaufen, und bin vor 7:00 im Hotel, um dort auf der wunderschönen Aussichtsterrasse das fabelhafte Frühstück zu genießen, das nicht nur aus einem Croissant besteht. Das Hotel "Al vecchio Convento" in Portico di Romagna kann ich absolut uneingeschränkt weiterempfehlen. Das ist besonders.


Gut gestärkt ziehe ich vor 8:00 los, den Berg hinauf und kann den größten Anstieg und die ersten 15 km noch vor der Hitze hinter mich bringen. Monte Busca, eine Bergkuppe, auf der ein natürliches Dauerfeuer brennt, lasse ich rechts liegen (und möchte nicht für ein Foto nochmal hinunter steigen).

Der Weg unduliert sanft dahin, eigentlich sehr angenehm: leicht auf und ab, mal durch den Wald, dann über die Felder. Viele blühende Akazienbäume und Ginster sorgen für einen schönen Duft und Farbakzente.



Erst nach 15 km mache ich eine Pause und dann gleich noch eine, weil es so heiß wird, dass ich lieber im Schatten lese als weiter zu gehen. Das stellt sich zusätzlich als gute Entscheidung heraus, weil der weitere Weg auf einer Asphaltstraße Richtung Tal führt und in meiner Pausestunde ca. 50 Motorräder dort entlang glühen.

Der heiße Asphalt, auf dem ich zwar schnell und gut weiterkomme, macht mir die letzten 8 km vor dem Ort zur Qual: kein Schatten, dafür immer wieder Autos oder Motorräder, die unterschiedlich viel Abstand halten. Die Luft ist heiß und grausig.

Dovadola


In Dovadola, einem kleinen Ort, den ich gar nicht richtig aufnehmen kann, aber in dem alles über Mittag sowieso geschlossen ist, falle ich im einzig offenen Café auf einen Sessel und gieße einen Dreiviertelliter Flüssigkeit in mich hinein.

Meine Unterkunft liegt noch 4 km außerhalb des Ortes - wenigstens schon in Richtung morgige Etappe - weiter die Asphaltstraße entlang und wieder eine Hügelflanke hinauf. Das schaffe ich noch.
Die Besitzer meiner Unterkunft, ein sehr zuvorkommendes junges Paar, das sich ein kleines Agriturismo begonnen hat aufzubauen und Oliven, Wein und Gemüse anbaut, ein bisschen Geflügel und Bienen hat und dazu einige wenige Zimmer vermietet, begrüßt mich erstaunt. Sie hatten damit gerechnet, dass ich anrufen und mich aus dem Ort holen lassen würde. Sie bieten mir eine Erfrischung an und nach der Dusche sinke ich auf der Terrasse in einen Korbsessel und genieße das viele Grün rundum und den selbst gemachten Holundersaft. Später werde ich einen Rundgang im gleich anschließenden Wein- und Gemüsegarten machen und tief durchatmen.



Heute war ein anstrengender Tag. Benjamin (der Quartiergeber) fährt mir noch eine Pizza holen und bringt mir "ein bisschen eigenen Wein zum Kosten" (= ca. 300 ml) und ich werde mich dann zeitig ins Bett packen.

Etappenzusammenfassung:
32 km Distanz
861 Hm Gesamtaufstieg
08:00 Gesamtgehzeit (inkl. 3 langen Pausen)

Körperzustandszusammenfassung:
Abgesehen von der Müdigkeit, die emotional fordernd ist, geht es mir körperlich sehr gut. Nicht einmal die Waden fühlen sich beansprucht an. Zusätzlich kommt mir meine Nase freier und mein Geruchssinn verbessert vor.

Lektürefortschritt:
20. Gesang des Fegefeuers / Läuterungsberges. Das liest sich scheinbar leichter als die Hölle / das Inferno. (Und ist auch weniger grausig, abgesehen von den Neidern, die die Augen mit Stacheldraht zugenäht haben...)

No comments: