Monday, May 09, 2022

Il Cammino di Dante (Teil 4) - Ein perfekter Einstieg

Anreise

Die Abreise aus Wien war zunächst nicht speziell aufregend in ihrer Form: Ich stieg wieder mal in den Nachtzug, fand schnell meine Liege und richtete mich ein. Ich hörte eine Gruppe von überdrehten Teenagern zusteigen ("Aaah! Das ist ja wie in Harry Potter!"). Die besiedelten alle Abteile rund um mich und ich hörte, dass auch zu mir welche kommen sollten.

Da ging die Tür auf. Herein trat ein junger Mann mit einer großen, flachen Tasche. Der war mir schon am Bahnsteig aufgefallen, als er sein Rennrad in diese Tasche packte. Ich half ihm, das Rad unter dem Sitz zu verstauen und fragte ihn (da er mich auf Englisch angesprochen hatte), ob er mit dem Rad seine Reise fortsetze oder das die Rückreise wäre. Die Antwort kam sofort: Er sei aus Tschechien und fahre nach Italien, um dort für drei Wochen zu radeln. Da musste ich innerlich sehr grinsen. Ist wieder mal klar, dass ich die perfekte Reisebegleitung bekomme. Ich antworte: Das sei witzig, denn ich mache quasi dasselbe, nur eben zu Fuß. Sofort beginnen wir uns angeregt zu unterhalten.

Der Schaffner unterbricht unser Gespräch: "Könnten Sie vielleicht in den anderen Wagon wechseln? Da sind auch welche von der Schulgruppe und die wollen herwechseln, damit sie alle beisammen sein können." Der Abend wird ja immer besser!

Meine neue Reisebekanntschaft und ich unterhalten uns noch recht lange - wir haben viel gemeinsam: z.B. sind wir beide Linkshänder und schreiben gerne. Einen perfekteren und lieberen wildfremden Reisepartner hätte ich mir nicht wünschen können. Er wird den Giro d'Italia abfahren - vor/nach den Athleten. Er zeigt mir sein professionell aussehendes Portfolio. Sehr ambitioniert! Wir reden über alles Mögliche, Lebensträume etc. Irgendwann ist es Zeit schlafen zu gehen, doch er mag in der Früh mit mir aufstehen, damit wir uns verabschieden können. Daraus wird dann - dank 30 min Verspätung - ein nettes gemeinsames Frühstück, zu dem wir beide Teile aus unserem Proviant hinzufügen und teilen.

Wir verabschieden uns herzlich und beschließen ein Treffen in Wien, bei dem wir einander von unseren jeweiligen Reisen erzählen wollen. Das war der perfekte Start in diese Reise!


Ankunft und erste Etappe (nach offizieller Zählung die 11.) - von Florenz nach Rignano sull'Arno

Ich gehe zum Dom und suche von dort ein paar Danteorte auf:

1) In der gesamten Stadt findet man Zitate aus der Göttlichen Komödie.
2) Natürlich gibt es eine Straße, die nach dem Dichter benannt ist
3)... und eine Kirche, an deren Tafel Menschen Nachrichten oder Visitenkarten hinterlassen
4) ... und einen Felsen. Der sei der Originalfelsen, auf dem Dante für gewöhnlich gesessen sein soll, um beim Bau der Kirche zuzusehen. Dort soll er von einem Vorbeikommenden einmal nach seiner Lieblingsspeise gefragt worden sein und geantwortet haben "Das Ei."

Ich setze mich auch kurz auf den Felsen, werde aber von einem Straßenreiniger mit Kärcher bald vertrieben (durchaus freundlich und ohne Verwendung seines Geräts).

Ich marschiere zum Arno, dem Fluss, an dem Florenz liegt, und folge diesem ein paar Kilometer. Dieser Teil ist angenehm: lauter kleine Parks, sodass ich nicht direkt neben der Straße gehen muss. Als ich die richtige Brücke nehme, um auf die andere Seite zu kommen, sehe ich erstmals eine der Wegemarkierungen, nach denen ich die nächsten Wochen Ausschau halten werde:

Leider kommt jetzt der hässlichste und unangenehmste Streckenabschnitt, den ich nicht abgelichtet habe: mehrere Kilometer neben einer engen und durchaus regelmäßig befahrenen Straße OHNE Gehweg. Ich gehe quasi zwischen Seitenmarkierung und Graben/Mauer. Das muss ich für ca. 5 km und meinen ersten Anstieg auf den Monte Cucco aushalten. Da der gesamte Weg nur zu ca. 5% asphaltiert sein soll, wird in den nächsten Tagen hoffentlich keine derart furchtbare Straße mehr kommen.

Es sieht gewittrig aus. Ein paar Tropfen fallen und die Bäume des Waldes, durch den ich gehe, biegen sich im Wind.

Viele Leute mit Hunden sind unterwegs. Hunde gibt es auch auf dem Monte Cucco, wo sie mir bellend entgegenspringen. Vor Schreck verirre ich mich bedauerlicherweise und folge dem falschen Wanderweg (es gibt ziemlich viele und die meiste Zeit über ist ihr Verlauf ident; z.B. der Franziskusweg). Zum Glück zeigt mir mein Kartenmaterial jetzt, wie gut es ist, und ich finde meinen Weg wieder, ohne zurück gehen zu müssen. Grundsätzlich ist der Weg sehr gut und eindeutig markiert.

Jetzt wird es langsam Zeit für eine Pause, doch ich finde leider kein schönes Plätzchen. Die Aussicht hingegen ist immer wieder wunderschön.

Blick zurück auf Florenz


Ab  ca. km 16 werde ich müde und bekomme Hunger. Ich würde wirklich gerne eine Pause machen und halte nach einer Bank o.ä. Ausschau, aber Pausenorte sind wohl nicht eingeplant. Ich gehe weiter bis Km 20, wo ich endlich so eine Art Lichtung finde: essen, trinken, sitzen, Magnesium. Der Proviant schrumpft um gut 700g (inkl. Wasser).

Der Rest des Weges ist kurz und angenehm. Ich raste noch einmal in einem Olivenhain - einfach, weil der Hain schön ist. Die Gewitterwolken sind verflogen und es ist warm und sonnig.

Nach insgesamt 27 km und ca. 660 Hm Gesamtanstieg komme ich am frühen Nachmittag bei meinem Quartier (ein Zimmer bei einer entzückenden älteren Dame) an und springe sofort unter die Dusche. Die Füße werden mit Hirschtalgcreme versorgt, die Schultern mit Tigerbalsam. Mit meiner Ausrüstung bin ich im Moment sehr zufrieden.

Jetzt sehe ich mir noch an, was der Ort so kann und dann plane ich den morgigen Tag ... ich füchte mich schon ein wenig. Ich kann den Berg von hier bereits sehen, auf den ich morgen steigen werde. Er sieht hoch aus. Wenn ich das aus der Karte richtig ablese, werden das 2000 Hm Gesamtaufstieg auf ca. 29 km Streckenlänge. Ich werde wohl ziemlich früh starten.


No comments: