Wednesday, May 11, 2022

Il Cammino di Dante (Teil 6) - Genusswandern mit viel Panorama

Die drei Klosterschwestern haben mir gestern noch ordentlich aufgetischt. Als ich ins Refektorium kam, standen da bereits eine Flasche Rotwein, eine große Schüssel Salat, reichlich Brot - sowohl in Scheiben, als auch als Croutons für die Suppe, die mir sogleich in einem Topf aufgetischt wurde: eine richtige Minestra (eher dickere Suppe) aus Gemüse und Bohnen. Ich habe mich auf 2,5 Teller "beschränkt". Danach gab es drei Stück gebratenes Huhn mit zwei ganzen gekochten Zucchini und einem großen, gekochten Erdapfel. Obwohl ich normalerweise auf Fleisch verzichte, mache ich hier eine Ausnahme (immerhin wurde das extra für mich zubereitet und mein Hunger war außerdem sehr groß). Die Schwester, die mich bedient, freut sich, dass es mir schmeckt. Als ich nach dem Hauptgang beginne, mir den Salat mit Öl und Essig anzumachen lobt sie mich: "Sì, bene! Mangi l'insalata - ti fa bene!" (= "Sehr gut! Iss den Salat - der ist gut für dich!") [Exkurs: Die Italiener essen den Salat nach dem Hauptgang, damit er den Magen aufräumt. Ich kann dem durchaus etwas abgewinnen.] Danach bringt sie mir noch einen großen Zwickel Käse und heißt mich zweimal, unbedingt ein Stück davon zu essen. Dem komme ich freilich gerne nach und schenke mir noch etwas Rotwein in den Papierbecher (etwas stillos, doch der Wein schmeckt) - ich bin glückselig. Meine letzte warme Mahlzeit war über 48h zurückgelegen und mir war nicht bewusst, wie sehr ich eine nötig hatte.

Ich schlief wunderbar - wieder bei offenem Fenster und sogar bis 6:30 diesmal, denn ich hatte keinen so weiten Weg vor mir wie am Vortag.

Nach dem Frühstück (vorwiegend Weizendinge und ausschließlich süße Aufstriche - für mich immer eine Überwindung - plus ein wenig Obst) verabschiede ich mich von den Schwestern und ziehe kurz vor 8:00 los.

Etappe 3 (offiziell Etappe 13): Prato di Strada über Pratovecchio bis Valagnesi

Der Morgen ist wahrlich die schönste Tageszeit zum Wandern: angenehm kühl, schöne Lichtstimmung, noch nicht zu viel Verkehr. Ich genieße beim Wandern die Morgenstunden und grinse oft vor mich hin. In Castel san Niccolò, dem Nachbarort von Prato di Strada, kaufe ich noch etwas Proviant. Ich frage die Besitzerin des Geschäfts nach einem Stück Hartkäse, den ich gut transportieren kann und deute auf meinen Rucksack. Sie nickt wissend, nimmt einen Käse aus der Vitrine und bedeutet mir, indem sie ihren Zeigefinger an die Wange führt, dass der sehr gut sei. Dann will sie mir das Viertelkilo, so wie es ist, einpacken. Ich interveniere: "No, no, è troppo! Mi basta una fetta!" (= "Das ist zu viel! Mir reicht eine Scheibe!") Sie lacht und schneidet mir eine dicke Scheibe ab. Dann wünscht sie mir noch eine gute Wanderung.

Da ich keine lange Etappe vor mir habe, lasse ich mir Zeit. Normalerweise versuche ich, die ersten 10 km in einem Zug durch zu marschieren und dann erst die erste Pause zu machen, doch der heutige Tag ist voller schöner Panoramen und ich finde vorher schon Orte, die zur Rast einladen.

Lesepause auf einer Friedhofsbank


Auf dem Hügel in der Mitte ist bereits Castello di Romena zu erkennen

Pieve di Romena - eine sehr atmosphärische Kirche. Drinnen wird über Lautsprecher angenehme Musik abgespielt.

Keinen schöneren Ort hätte ich fürs zweite (pikante) Frühstück finden können. (Pieve di Romena von außen).

Knuspriges Gebäck mit Olivenöl und die genannte Käsescheibe

Danach geht es weiter zum Castello di Romena, gleich ums Eck, etwas steiler den Berg hinauf. Zwei Männer mit Auto sehen mich und warten mit dem Einsteigen, bis ich auf ihrer Höhe bin: Ob sie mich ein Stück mitnehmen sollen? Ich lehne dankend ab - bin ja zum Wandern hier.

Castello di Romena

Das Schloss könnte man um €4 besichtigen, aber dazu bin ich nicht motiviert und so steige ich ab nach Pratovecchio, wo ich den Arno wieder treffe.

Fluss Arno

Damit habe ich ca. 2/3 meiner Etappe hinter mir und es ist noch Vormittag, also suche ich mir einen netten Ort, um eine Mittagspause zu machen.

Ortsmitte Pratovecchio
Hier gibt es rundum Bars und Geschäfte



Mittagsbier

Ich lese wieder in Dantes Divina Commedia und genieße den Ort und die Atmosphäre (von Pratovecchio, nicht von Dantes Inferno). Am Nachbartisch unterhalten sich zwei Männer über Latein und Italienisch. Nach einer Weile gehe ich weiter, versorge mich noch in zwei verschiedenen Supermärkten mit Obst und Gemüse für den nächsten Tag und verlasse das sich beinahe urban anfühlende Pratovecchio.

Mir fehlen noch ca. 6 km, doch die sollen es in sich haben: Ein steiler Aufstieg, teilweise in der Sonne wird mich noch 500 Hm hinaufführen. Das Gewicht des Einkaufs hängt sich an, ich schwitze und nach ca. 3 km geht mir die Energie aus. Naja, die letzte Mahlzeit ist auch schon drei Stunden her, fällt mir ein, da habe ich nicht gut aufgepasst: Ich krame nach meinen Motivationsdatteln und dope meinen Zuckerspiegel in die Höhe. 

links: der Weg
im Hintergrund: die Vorschau auf morgen

Bald erreiche erreiche meinen Zielort Valagnesi: eine Konglomerat aus nicht auseinanderzuhaltenden Häusern. Es braucht einen Anruf, damit ich mein Quartier finde. Mein Quartiergeber macht mir gleich einen Kaffee, dann beziehe ich mein Zimmer. Es ist erst 15:00 und damit genug Zeit, meine Wäsche zu waschen.

zum Trocknen aufgehängt

Etappenzusammenfassung (laut Uhr):
20 km Distanz
760 Hm Gesamtaufstieg
7:00 Gesamtgehzeit (wobei davon ca. 2 h Pause waren)

Körperzustandszusammenfassung:
Morgens waren die Beine und v.a. die Waden sehr steif, doch wenn sie aufgewärmt sind, spüre ich nichts. Die Schultern sind wieder ausgerasteter. Die Füße und Zehen fühlen sich ein wenig wund an. Also alles wie gestern, doch weniger müde. Auch heute freue ich mich schon sehr aufs Abendessen.

Lektürefortschritt:
23. Gesang der Hölle (Inferno)


Ah ja: Wenn ihr irgendwelche Fragen habt oder gerne mehr Info zu etwas hättet, schreibt es mir einfach als Kommentar.


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